PRESS | Lieko Shiga “Rasen Kaigan” Portfolio | Monopol Magazine | Feb 2016

LIEKO SHIGA “RASEN KAIGAN” PORTFOLIO

Monopol magazine, February 2016
Text by Daniel Kothenschulte

LIEKO SHIGA

Erst kam der Tsunami. Dann kam die Strahlung aus Fukushima. Doch die junge japanische Fotografin blieb. Inzwischen stellt sie ihre Fotografien im MoMA und in Los Angeles aus. Hier zeigt sie exklusiv einen Bildessay, der aussieht wie eine Mischung aus Albtraum und verblassender Erinnerung.

Lieko Shiga kam als Tänzerin zur Fotografie, und vielleicht erklärt das, warum Fotografie für sie etwas anderes ist als ein kleines Stückchen Zeit. Für die Surrealisten war Zeit eine flüssige Masse, und so scheinen auch die Bilder dieser leidenschaftlichen Traumsammlerin aus einem trüben Fluss geborgen. Bekannt wurde sie 2007 mit dem Fotobuch „Canary“, das von der Sammlergemeinde gleich ins Herz geschlossen wurde. Hier war etwas völlig Neuartiges zu entdecken, das zugleich an die Frühgeschichte der Fotografie erinnerte, als dem Medium noch etwas Magisches nachgesagt wurde bis hin zur Möglichkeit, Geister damit dingfest zu machen. Die geheimnisvollen Nachtstücke, die die Japanerin in „Canary“ versammelte, waren der Traumwelt näher als der Wirklichkeit. Benannt nach jenen Singvögeln, die man früher als lebende Alarmanlagen in Bergwerken einsetzte, setzten sie sich über die Grenzen unserer Sinne leichtfüßig hinweg.

Das gilt auch für ihre Serie „Rasen Kaigan“, aus der einige Bilder dieses Portfolios entstammen. Lieko Shiga lebte eine Zeit lang im winzigen nordjapanischen Küstendorf Kitagama, wo sie die 372 Einwohner bei einer Vielzahl von Aktivitäten, Festen und offiziellen Anlässen fotografierte und sich auch in ihre mündliche Überlieferung einweihen ließ. Dankbar nahmen die Bewohner ihre Dienste an, man überließ ihr ein Farmhaus, sie bedankte sich mit Porträts – bis 2011 der Tsunami das gesamte Dorf und 60 seiner Einwohner in einem tragischen Atemzug auslöschte. Auch die Künstlerin verlor ihre gesamte Habe und viele ihrer Werke. Doch was sie noch gespeichert hatte, war zugleich der gesamte Besitz der Überlebenden. Ungeachtet der Strahlenbelastung von Fukushima, die dem Tsunami folgte, blieb sie im Dorf, ließ sich eine neue Kamera schicken, dokumentierte die Katastrophe und half bei den Begräbnissen. Ihre Fotografie, die sich stets als Erinnerungsarbeit verstand, wurde zur Überlebenshilfe. Doch auch ihre eigenen fotografischen Ideen setzte sie mit den Dorfbewohnern in traumhaften Szenerien um. „Im Reich der Fotografie“, sagt die 1980 geborene Künstlerin, „gibt es keine Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft. Der Wert der Fotos ist unsicher und verwandlungsfähig: Manchmal werden sie wie Altpapier behandelt, manchmal verehrt wie lebende Menschen oder zum Gegenstand religiöser Anbetung.“

Seit den 60er-Jahren verdankt die Fotowelt japanischen Künstlern eine Realitätsnähe abseits der Dogmen von Darstellungsgenauigkeit und Präzision. Lieko Shiga schreibt diese Geschichte fort. Und schuf bei aller Skepsis gegenüber dem Dokumentarischen die künstlerisch wohl bedeutendste Auseinandersetzung mit einem Leben angesichts der Katastrophe.

Daniel Kothenschulte

Lieko Shiga wird vertreten durch die Galerie Priska Pasquer, Köln

PIETER HUGO, KIN

KIN
Pieter Hugo

January 30th – April 9th, 2016

| EN

Following Pieter Hugo’s first ever solo exhibition in Germany, CORPOREALITY, we are pleased to present  his new series KIN.

South African Pieter Hugo has established himself as one of the world’s best-known artists within the space of just a few years. His photographs show the conflicts and inconsistencies at the heart of society, such as the chasm between rich and poor and the effects of racism and corruption. Constants in his work include seriousness, neutrality and an underlying respect for his protagonists, whose dignity always remains intact.

Created between 2006 and 2013, the KIN series consists of portraits, landscapes and still lifes. The exhibition appeared in the Fondation Henri Cartier-Bresson in Paris in 2015.

“South Africa is a fractured, schizophrenic, wounded and troubled place”, says Pieter Hugo. How can one live there? He feels like a “colonial piece of driftwood”, which is arguably what opens his eyes to the contradictions and conflicts, for the areas of friction and tension that exist within (South) African society.

KIN deals with home, proximity, identification and a sense of belonging – something that, in South Africa, he has always experienced as being critical and riddled with conflict: How can one live in this country, which only shed its colonial heritage relatively recently, and which is plagued by racism and a growing chasm between rich and poor?

Hugo shot photos at home, in townships and at historical sites, taking portraits of his pregnant wife, of domestic servants and of homeless people. The calm and clearly composed shots show beauty and ugliness, wealth and poverty, private and public, historical and topical. Without either idealizing or dramatizing the subject matter, they paint a portrait of the complex society in South Africa today.

| DE

Wir freuen uns, Ihnen nach der Einzelausstellung CORPOREALITY von Pieter Hugo im letzten Jahr, nun die Serie KIN zum ersten Mal in Deutschland zeigen zu können.

Der Südafrikaner Pieter Hugo ist innerhalb weniger Jahre zu einem der bekanntesten Künstlern weltweit aufgestiegen. Seine Fotografien zeigen die Zerrissenheit und die Widersprüche der Gesellschaft, wie das Gefälle zwischen Arm und Reich, die Auswirkungen von Rassismus und Korruption. Konstanten seines Werks sind Ernsthaftigkeit, Neutralität sowie ein grundsätzlicher Respekt vor seinem Gegenüber, dessen Würde stets gewahrt bleibt.

Die zwischen 2006-2013 entstandene Serie KIN (Sippe) umfasst Porträts, Landschaften und Stilleben.
Die Ausstellung war 2015 in der Fondation Henri Cartier-Bresson in Paris zu sehen.

“Südafrika ist so ein zerbrochener, schizophrener, verwundeter und problematischer Ort,“ sagt Pieter Hugo. Wie kann man dort leben? Er empfinde sich als ein Stück „koloniales Treibholz“. Es ist wohl dieses Bewusstsein, das ihm die Augen öffnet für die Widersprüche und Dissonanzen, für die Reibungszonen und Spannungsfelder innerhalb der (süd-) afrikanischen Gesellschaft.

In KIN geht es um Heimat, Nähe, Identifikation und Zugehörigkeitsgefühl – etwas, das er in Südafrika von jeher als kritisch und konfliktgeladen erlebt hat: Wie kann man leben in diesem Land, das sein koloniales Erbe noch lange nicht hinter sich gelassen hat und geprägt ist von Rassismus und einer immer größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich?

Hugo fotografierte zu Hause, in Townships und an historischen Plätzen, machte Porträts seiner schwangeren Frau, von Hausangestellten und Obdachlosen. Die ruhigen und klar komponierten Aufnahmen zeigen Schönheit und Hässliches, Reichtum und Armut, Privates und Öffentliches, Historisches und Aktuelles. Weder idealisierend noch dramatisierend entwerfen sie ein Porträt der komplexen Gesellschaft im heutigen Südafrika.