Samstag, 6. April 2002, Nr. 80 / Seite 55
Landschaft unter Hochspannung
Elfriede Stegemeyer in der Galerie Priska Pasquer in Köln.
Nur eben sechs Jahr e arbeitete die junge
Künstlerin an der Kamera und schuf in dieser
kurzen Zeit ein beachtliches kleines
Werk, das . sich voll.kommen im Verborgenen
entwicke ln mußte. Denn die Fotografie
hatte Elfriede Stegemeyer erst in den
frühen dreißiger Jahren für sich entdeckt,
als sie aus Berlin an die Kölner Werkschulen
kam und sich dort, als einzige Schülerin
neben Raoul Ubac, für ein Studium in der
Fotoklasse einschrieb. Nach dem Krieg versuchte
die Künstlerin unter dem Namen
,,elde steeg” als Malerin einen Neuanfang,
allerdings ohne allzu großen Erfolg. Da ein
Großteil ihrer Werke im Jahr 1943 in Berlin
bei einem Bombenangriff zerstört wurde,
beschränkt sich das fotografische CEuvre Elfriede
Stegemeyers (1908 bis 1988) heute
auf gerade einmal 450 Arbeiten.
Aus der Sammlung Gerd Sander stammen
jetzt rund siebzig Fotografien, die von
der Kölner Galerie Pris”‘-a Pasquer zu Preisen
von 4000 bis 12 000 Euro offeriert werden.
Etwas aufdringlich sind die tiefschwarzen
Rahmen, über flüssig ist zudem eine
Hängung, die den Motiven durch installativen
Charakter zusätzlich auf die Sprünge
helfen will – insgesamt aber kann man sich
in der Ausstellung in ein findiges Werk vertiefen,
das die Fotografie der zwanzi~er Jahre
nicht revolutioniert , in der Isolation der
dreißiger Jahre aber auf vitale Weise wachhält
und weiterdenkt. Zu sehen sind Landschaften
und Stilleben , Porträts, Objektund
Strukturstudien, .zudem Fotogramme,
Fotomontagen und Mehrfachbelichtungen.
Die Bandbreite tariert im wesentlfchen
das Spektrum von Bauhaus-Fotografie und
Neuem Sehen aus. Spuren im Sand und
„Angeschwemmter Tang” stehen zudem in
neusachlicher Tradition. Winzig die Aufnahme
eines geöffneten Fensters mit konstruktivistisch
klarer Teilung von Licht und
Schatten, wahrgenommen aus steiler Untersicht
und erfüllt von einer visuellen Energie,
die an Interieurs des Amerikaners
Charles Sheeler denken läßt.
Es geht der Fotografin zunehmend um
die Auflösung der Gegenstände in Seh-Dinge,
so etwa bei einer schönen Werkreihe
mit einem Trinkglas, das sie aus unter
·schiedlichen Blickpositionen aufnimmt
und Lichtrefl exe schinunem und aufblitzen
,läßt. Im Lauf der dreißiger Jahre stärkt sich
ein deutlich vernehmbarer surrealistischer
Zug in ihrem Werk. Von Humor zeugen die
Hochspannungsmasten, die sich in einem
der Bilder zu einem wahren Wald versammeln
und der technischen Landschaft
einen grotesken Charakter verleihen. Voller
Melancholie und wiederum kaum ohne
den zeithistorischen Hintergrund lesbar die
Aufnahm e eines „Gesichts hinter angelau fener
Scheibe” von 1935, auf der die Tropfen
wie Tränen hinabrinnen. Doch auch
das Sentimentale birgt hier noch spielerischen
Geist. Experimenteller Zugriff prägt
sich schließlich in einer Reihe von Fotogrammen,
die maßgeblich von Uszl6
Moholy-Nagy inspiriert sind. (Bis
20. April.) GEORG IMDAHL
Ein Auge, wie es Stegemeyer 1933 sah: der Vintage-Abzug kostet 6000 Euro. Foto Galerie
Quelle:Samstag, 6. April 2002, Nr. 80 / Seite 55