Johanna Reich
SIMULACRUM
Parallel zur Einzelausstellung von Johanna Reich im Max Ernst Museum Brühl des LVR zeigt PRISKA PASQUER eine Einzelausstellung der 1977 geborenen Künstlerin mit dem Titel SIMULACRUM.
Lange schon leben wir in zwei Welten, die virtuelle Welt kann als Simulacrum der physischen Welt gesehen werden. Jedoch haben sich die Grenzen beider Welten so stark ineinander verschoben, beeinflussen sich gegenseitig, dass die aktuelle Frage zu sein scheint, ob nicht die reale Welt zum Simulacrum des Simulacrums geworden ist…
Identität oder Bild? Simulation, Hyperrealität, Trugbild oder Täuschung? In was für einer Welt leben wir und welche Bilder sehen wir?
Gab es für die mechanische Reproduktion von Bildmaterial noch Einschränkungen, so wurden diese mit der sogenannten „digitalen Revolution“ aufgehoben. Seitdem werden Bilder durch digitale Codes, aber auch Wissen und Kultur werden als Daten ständig in der ganzen Welt verbreitet und aus diesen Codes entstehen dann wiederum neue Bilder, deren grenzenlose Dominanz uns in ein visuelles Zeitalter ohnegleichen manövriert hat. Die schon in der Antike grundlegende Frage nach dem Verhältnis von Realität und Abbild, Original und Kopie, Schein und Sein, hat sich dabei durch die Entmaterialisierung und Kodifizierung der Bilder maßgeblich verändert und verändert sich in unserer postdigitalen Welt, in der das Digitale nicht nur akzeptiert, sondern als alltäglich vorausgesetzt wird, noch immer rasant. Während die Kopie auf der Rezeptionsebene zwar eine Irritation bedeutet, ist sie auf der Ebene der Produktion doch eine Wiederholung. Dementgegen ist eine eindeutige Unterscheidbarkeit von Bild, Kopie und Wirklichkeit heute gar nicht mehr gegeben. Vielmehr gilt das Digitale seit dem von Nicholas Negroponte 1998 ausgerufenen Ende der digitalen Revolution nicht mehr als Nachbildung, sondern als eine eigene bzw. eine Hyper-Realität.
Johanna Reich (*1977, Minden) beschäftigt sich mit genau diesen Themen schon seit langem auf unterschiedliche Weise in Malerei, Video, Performance, Fotografie, Skulptur und holografischen Projektionen. Sie hatte bereits eine Vielzahl an Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland, wie z.B. im Tokyo Metropolitan Museum of Photography (2007), Museo Reina Sofia, Madrid (2009), Kunsthaus Hamburg (2010), Stella Art Foundation, Moskau (2010) Kunst Werke Berlin (2010), Contemporary Art Museum of Estonia (2010), Cobra Museum Amstelveen (2011), Museum of Contemporary Canadian Art, Toronto (2011), Videonale 13, Kunstmuseum Bonn (2011), Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt (2011), Arp Museum Rolandseck (2012), Kunsthaus Nürnberg (2013), Kunsthalle Münster (2013), Frankfurter Kunstverein (2013), Palais de Tokyo Paris (2014), Kunsthaus Düsseldorf (2014), Skulpturenmuseum Glaskasten Marl (2015), Clemes Sels Museum Neuss (2015), PRISKA PASQUER (2015), Kasseler Kunstverein im Friedericianum (2016), Litfaßsäulen Köln (2016), Istanbul Modern (2016), PRISKA PASQUER (2016), Äkkigalleria, Jyväskylä, Finnland (2017), Q12 im MuseumsQuartier Wien (2017), Gislaved Konsthall, Schweden (2017), Satellitenprojekt der SkulpturProjekte Münster, Marl und LWL Münster (2017), um nur einige zu nennen.
Johanna Reich ist außerdem regelmäßig auf Biennalen und Filmfestivals vertreten, u.a. Kunstfilmbiennale, Köln (2009), Emscherkunst (2010), Cologne OFF (2011-13), Kassler Dokumentar- und Videofestival (2013), Total Art Festival Berlin (2014), DokFest Kassel (2016); sie hat u.a. den Nam
June Paik Award (2006), den japanischen Excellence Preis für Medienkunst (2007), den Förderpreis des Landes NRW für Medienkunst (2009), den Konrad von Soest Preis (2011) und den Kulturpreis des LVR (2017). Diese Auszeichnungen und Ausstellungen zeigen ebenso eindrucksvoll wie eindeutig Relevanz und Dimension ihrer künstlerischen Position in der zeitgenössischen Kunst.
„Simulacrum“ – der Titel ihrer Ausstellung bei PRISKA PASQUER steht sinnbildlich für ihre Beschäftigung mit der Wirksamkeit digitaler Verfahren für die Bildproduktion und -verbreitung. Medientheoretisch ist das Simulacrum kein Abbild, sondern besitzt eine Sonderstellung als eigenständiges Zeichen. Laut Baudrillard leben wir im Zeitalter der Simulation, in dem das Simulacrum als Hyperrealität auftritt.1 Diese Definition kennzeichnet die Tatsache, dass das Bild nicht mehr länger Illustration für etwas anderes ist, sondern alleiniger Bedeutungsträger und damit die eigentliche Botschaft. Die Zeichen, die in einer solchen Welt entstehen, sind ohne Referenz, sie verweisen auf nichts als auf sich selbst. Johanna Reich reagiert darauf mit unterschiedlichen Fragestellungen und Analysen. Was passiert, wenn man ein Bild in sein reines Zeichensystem zerlegt, dieses in eine menschliche Handschrift übertragen lässt und in dieser Form dann wieder neu digital verzeichnet? Welches der beiden Bilder ist das wirkliche Bild? Was ist überhaupt die Wirklichkeit? Wer definiert sie und was prägt sie? Und: wer steuert oder kontrolliert sie? Die Künstlerin befragt dafür junge Menschen, für die das Internet und seine Like-Kultur realer Alltag sind, nach ihren Medienikonen und Identifikationsmodellen. Was sind Vor-Bilder, wie werden sie geprägt und verbreitet und welcher Manipulierbarkeit unterliegen sie? Sie fragt auch eine ältere Generation nach Bildern der Erinnerung, nach Bildern, die bereits Bestand und wirklichkeitsprägende Bedeutung erlangt haben und sie durchforstet außerdem analoge Bildarchive nach verschollenen und abgelegten Bildern, nach Dokumenten vergessener Identitäten, die sie ins Netz stellt, ihnen eine neue Realität gibt und sie damit neu aufleben lässt.
Johanna Reich untersucht und hinterfragt auch – nicht ohne Ironie – Bedingungen und Verfahren der Abbildung von Realität in der Malerei und deren Anspruch auf Authentizität. Indem sie z.B. das Bild auf einer Leinwand mit großer Gestik in der klassischen Plein-Air-Malerei als ein Stück Natur enthüllt, oder ein Aquarell aus Wassertropfen erschafft, in denen sich Himmel und Wolken real zu einem Spiegelbild verdichten, kreiert sie reale Momentaufnahmen, welche aber nur im Abbild durch die gleichzeitig stattfindenden Filmaufnahmen überdauern und damit wiederum endlos reproduzierbar werden. Welche Illusionen erschafft die Malerei? Welchen Raum nimmt der Gestus des Malers im Zusammenhang mit Original, Kult und Genie ein? Wie weit geht die Identifikation des Künstlers mit dem Bild(motiv) und inwieweit geht er in seinem Bild auf oder verschwindet gar darin? Auch der öffentliche Raum, der längst nicht mit einem für alle gleichermaßen offenen Raum gleichzusetzen ist, wird zum Thema. Was macht den öffentlichen Raum aus, wer positioniert sich hier, wer bewegt sich wie und welche politischen und wirtschaftlichen Akteure erhalten die Erlaubnis, diese Bewegungen zu überwachen? In welche Macht-Rhetorik ist der Körper also eingebunden? Und wie kann er sich dieser entziehen? Was passiert, wenn der menschliche Körper sich tarnt und für das technische Auge der Kamera damit unsichtbar wird? Performativ experimentiert die Künstlerin seit vielen Jahren schon mit dem eigenen Körper, mit seiner Sichtbarkeit und Wahrnehmung und mit deren Grenzen. Der Körper kann auf die Überwachung reagieren, sich zeigen oder verstecken, verschwinden, unsichtbar werden und damit die Kontrolle unterlaufen. Er hört aber damit nicht auf, zu existieren. So wie das schwarze Loch nicht das Nichts bedeutet, sondern eine Akkumulation von Masse ist, so ist der vor der Kamera versteckte Körper weiterhin ein Körper in Aktion. Wenn das technische Medium in seiner dokumentarischen Funktion versagt, entsteht dennoch ein Bild – kein Abbild, sondern ein Simulacrum.
Parallel to the individual exhibition of Johanna Reich’s works being held in the Max Ernst Museum Brühl des LVR, PRISKA PASQUER is showcasing its own dedicated exhibition under the title SIMULACRUM.
We have long been living in two worlds; the virtual world can be seen as the simulacrum of the physical world. However, the two worlds have overlapped and influenced one another to such an extent that the current question appears to be whether the real world has not become a simulacrum of the simulacrum …
Identity or picture? Simulation, hyperreality, illusion or deception? In what kind of a world do we live and what pictures do we see?
If there were once limitations regarding the mechanical reproduction of picture material, these were swept away with the “digital revolution”. Since then, pictures have been disseminated through digital codes, but knowledge and culture are also constantly disseminated around the world in data form, these codes in turn giving rise to new pictures, the limitless dominance of which has ushered us into an unprecedented visual age. The basic question, which dates back to ancient times, regarding the relationship between real life and depiction, original and copy, appearance and reality, has changed greatly through the dematerialisation and codification of pictures, and continues to change at a breakneck pace in our post-digital world, where digital forms are not only accepted but expected as the norm. While copies cause confusion at reception level, at production level they are merely repetitions. On the other hand, there is no longer a clear distinction between picture, copy and reality today. Rather, since the digital revolution was declared by Nicholas Negroponte in 1998, digital entities are no longer seen as reproductions but as a reality – a hyperreality – in their own right.
Born in Minden, Germany, in 1977, Johanna Reich has been exploring these very subjects for years in various ways through painting, video, performance, photography, sculpture and holographic projections. Her works have already been featured in individual or group exhibitions in Germany and abroad, including at the following institutions: Tokyo Metropolitan Museum of Photography (2007), Museo Reina Sofia, Madrid (2009), Kunsthaus Hamburg (2010), Stella Art Foundation, Moscow (2010) Kunst Werke Berlin (2010), Contemporary Art Museum of Estonia (2010), Cobra Museum Amstelveen (2011), Museum of Contemporary Canadian Art, Toronto (2011), Videonale 13, Kunstmuseum Bonn (2011), Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt (2011), Arp Museum Rolandseck (2012), Kunsthaus Nürnberg (2013), Kunsthalle Münster (2013), Frankfurter Kunstverein (2013), Palais de Tokyo Paris (2014), Kunsthaus Düsseldorf (2014), Skulpturenmuseum Glaskasten Marl (2015), Clemes Sels Museum Neuss (2015), PRISKA PASQUER (2015), Kasseler Kunstverein im Friedericianum, Kassel (2016) , Litfaßsäulen Köln, Cologne (2016), Istanbul Modern (2016), PRISKA PASQUER (2016), Äkkigalleria, Jyväskylä, Finland (2017), Q12 im MuseumsQuartier Wien, Vienna (2017), Gislaved Konsthall, Sweden (2017), satellite project of the SkulpturProjekte Münster sculpture projects, Marl and LWL Münster (2017).
Johanna Reich’s works are also regularly included at biennales and film festivals, such as Kunstfilmbiennale, Cologne (2009), Emscherkunst (2010), Cologne OFF (2011-13), Kassler Dokumentar- und Videofestival, Kassel (2013), Total Art Festival Berlin (2014) and DokFest Kassel (2016). Among other prizes, she has won the Nam June Paik Award (2006), the Japanese Excellence Prize for Media Art (2007), the Funding Award of the State of North Rhine-Westphalia for Media Art (2009), the Konrad von Soest Award (2011) and the LVR Culture Award (2017). These awards and exhibitions are an impressive indication of the relevance and standing of her art in the contemporary scene.
“Simulacrum”, the title of her exhibition at PRISKA PASQUER, symbolises her exploring the effectiveness of digital processes for picture production and dissemination. From a media theory perspective, the simulacrum is not a depiction but rather has a special position as a signal in its own right. According to Baudrillard, we live in an age of simulation in which the simulacrum manifests itself as hyperreality.1 This definition accentuates the fact that the picture no longer serves as an illustration of something else but is the sole carrier of meaning and therefore constitutes the message in itself. The signals that arise in such a world refer to nothing but themselves. Johanna Reich responds to this with a variety of questions and analyses. What happens if one were to deconstruct a picture in one’s pure symbolic system, have it transferred by human hand and record it anew digitally? Which of the two pictures is the real one? What is reality in the first place? Who defines it and what shapes it? And who controls it? In search of answers, the artist asks young people, for whom the internet and its “like” culture are everyday reality, about their media icons and identification models. What serves as role models, how are they shaped and disseminated and in what way can they be manipulated? She also asks an older generation for pictures of memories, for pictures that have already established themselves and that have achieved a reality-shaping significance. As well as this, she trawls through analogue picture archives in search of discarded pictures, for documents of forgotten identities, which she puts online, giving them a new reality and a new lease on life.
Johanna Reich also explores and examines – not without irony – conditions and processes for depicting reality in painting and its pursuit of authenticity. For instance, by unveiling with a suitably grand gesture the picture on a canvas as a piece of nature in a classic plein air painting or using drops of water to create a watercolour painting in which the sky and clouds compress to form a mirror, she creates very real snapshots, but it is only the reflected image of these that will survive through the film footage that is taken at the same time, rendering it infinitely reproducible. Which illusions does painting create? What space is given to the painter’s gesture in connection with original, cult and genius? To what extent does the artist identify with the picture (motif) and to what extent is he or she wrapped up in the picture or even disappears completely? Even public space, which is far from being the same thing as space that is open to everyone equally, becomes a subject for discussion. What defines a public space? Who positions themselves here, who moves in this space and in what way? Which political and commercial players are given permission to monitor this movement? In which power rhetoric is the body therefore implicated? And how can it escape from this? What happens when the human body disguises itself, rendering itself invisible to the camera’s technical eye? The artist has, in the form of performance art, been experimenting for years with her own body, with its visibility and perception and the various limitations of these. The body can respond to the monitoring, it can show or conceal itself, disappear, or escape control by becoming invisible. However, this does not mean that it ceases to exist. Just as a black hole does not signify nothingness but rather an accumulation of mass, the body that conceals itself before the camera is still a body in action. If the technical medium fails in its documentary function, a picture still emerges – not a reflection, but a simulacrum.